Vom Lärm, der Leben retten kann
Wie alarmiere ich meine Bürger?
Politiker suchen nach Sirenen-Ersatz
Im Katastrophenfall erreicht
Sirenengeheul 80 Prozent der
Bevölkerung.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in Deutschland viele Sirenen von Schul- und
Behördendächern abgebaut. Jetzt suchen die Innenminister der Länder nach Alternativen
zum lebensrettenden Geheule
von dpa-Mitarbeiter Georg Ismar
Kiel. Wie bekomme ich im Katastrophenfall nachts meine Bürger aus den Federn? Diese Frage treibt derzeit Innenpolitiker der Länder um. Massen- SMS, Katastrophen-Wecker, satellitengestütztes Warnsystem, Polizei-Lautsprecherwagen, Kirchenglocken – das Potpourri
an Möglichkeiten ist reichhaltig. Eine bundesweite Regelung gibt es aber bislang nicht. In den
1990er Jahren wurden viele der 80 000 grauen, lärmenden Sirenen von Schul- und Behördendächern abgebaut.
„Unbrauchbar“, „nach Ende des Kalten Krieges überflüssig“, „im Unterhalt zu teuer“, hieß es
damals. „Im Nachhinein ist man immer schlauer“, sagt Thomas Giebeler vom Schleswig holsteinischen Innenministerium. Nur im Umkreis von Atomkraft- und Chemiewerken, an
der Küste in Sturmflut-Gebieten und vereinzelt in den Städten gibt es diese Alarmanlagen
noch. Kurz-Lang-Kurz: Dieses Sirenengeheul bedeutete lange Zeit „Radio einschalten, Nachrichten hören“. Nach Angaben des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sind noch 35 000 Sirenen im Dienst. Der Bund ist im Kriegsfall für die Alarmierung der Bürger zuständig, der Katastrophenschutz ist Ländersache.
Der Bund überließ es nach Ende des Ost-West-Konflikts den Ländern, Sirenen weiter zu betreiben. Da vielen Kommunen der Unterhalt zu teuer war, wurden die Melder eingemottet.
Laut BBK erreichten die Sirenen 80 Prozent der Bevölkerung. Unter veränderten internationalen Bedingungen nach dem 11. September 2001 und durch Katastrophen wie
das Elbe-Hochwasser 2002, als Städte nachts von den Fluten überrascht wurden, sind Politiker ins Grübeln geraten. Der Arbeitskreis V der Innenministerkonferenz
hat mittlerweile mehrere Vorschläge ausgelotet.
Auch ein Wiederaufbau der Sirenen wird erwogen. Kosten: 130 Millionen Euro.
„Durch unser föderales System und eine Heterogenität der Ideen haben wir in Deutschland
ein Warnunwesen geschaffen. Überall gelten andere Warnsysteme, zudem gibt es ein Bevölkerungsbildungsproblem beim Katastrophenschutz“, sagt Katastrophenforscher
Willi Streitz von der Universität Kiel. „Es gibt zahlreiche Vorschläge, die jetzt ergebnisoffen diskutiert werden“, erklärt BBK-Sprecherin Ursula Fuchs. In Bundesländern, wo Rauchmelder Pflicht sind, könnte ein Chip in die Melder eingebaut werden. Dieser wird über Zeitzeichensender angepeilt und könnte im Bedarfsfall Alarm auslösen. „Natürlich könnte es eine Verwechslung mit einem Feueralarm geben, deshalb müsste dies mit Infokampagnen begleitet werden“, sagt Fuchs. Sie verweist darauf, dass es im BBK seit einigen Jahren ein satellitengestütztes Warnsystem gibt. Dies kann 170 angeschlossene Rundfunksender
unmittelbar alarmieren – es ist aber nur wirksam, wenn Radio, Computer oder TV angeschaltet sind.
Streitz kritisiert, dass zu viel über komplizierte technische Lösungen nachgedacht werde.
Diese würden schon bei Stromausfällen nicht mehr funktionieren. Eine andere Möglichkeit ist
ein Radiowecker, den die Flensburger Firma 2wcom entwickelt hat. Auf der UKW-Frequenz
werden von Behörden ausgesandte Warnungen wie „Schwerer Störfall im AKW Krümmel –
bitte Fenster und Türen geschlossen halten“ gesendet und im Radio-Display angezeigt.
Auch wenn das Radio ausgeschaltet ist, wird sofort ein deutlich
wahrnehmbares Signal ausgelöst.
Die Firma hat 50 000 dieser Frühwarnsysteme an die schwedische Regierung verkauft,
die sie an Bewohner in der Nähe von Atomkraftwerken ausgegeben hat.
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat auf seinem
Schreibtisch zu Testzwecken ein solches Radio stehen.
Es kostet zurzeit 50 Euro. „Der Wecker ist an sich eine gute Idee. Nur ist das Land finanziell
nicht in der Lage, jeden Haushalt damit auszurüsten“, erteilt Carstensen dieser Lösung eine
klare Absage.
Thomas Giebeler vom Innenministerium meint: „Die Sirene ist nach wie vor die wirksamste
Methode, die Menschen im Katastrophenfall bis in den hintersten Winkel der Republik aus
den Betten zu bekommen.“
Im Internet:
www.bbk.bund.de
HINTERGRUND
Das Saarland setzt zur Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall flächendeckend auf Sirenen und Lautsprecherwagen. Das sagte auf SZ-Anfrage gestern der Pressesprecher
von Innenminister Klaus Meiser (CDU), Guido Fries. Demnach gibt es derzeit 741 Sirenen auf saarländischen Dächern, „die regelmäßig von den Kommunen getestet und gewartet
werden“. Laut Innenministerium wurden seit 1992 genau 239 der seinerzeit 980 Sirenen im Saarland abgebaut. rol
http://img266.imageshack.us/my.php?image=sirenengp1.jpg
Vom Lärm, der Leben retten kann (Saarbrücker Zeitung)
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Vom Lärm, der Leben retten kann (Saarbrücker Zeitung)
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Re: Vom Lärm, der Leben retten kann (Saarbrücker Zeitung)
Hab die Texte mit Interesse gelesen.
auch für die genauen Zahlen über den Sirenenbestand im Saarland. Zur Zeit des kalten Krieges gab es nur wenige Informationen über den Bestand in dem westlichen Zipfel der Republik.
Jetzt hoffe ich, dass der Sirenenabbau dort erst einmal gestoppt ist.
auch für die genauen Zahlen über den Sirenenbestand im Saarland. Zur Zeit des kalten Krieges gab es nur wenige Informationen über den Bestand in dem westlichen Zipfel der Republik.
Jetzt hoffe ich, dass der Sirenenabbau dort erst einmal gestoppt ist.
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Re: Vom Lärm, der Leben retten kann (Saarbrücker Zeitung)
Moin.
239 abgebaute sind recht viel, aber verglichen mit dem Gesamtbestand doch noch zu ertragen, allerdings darf man eins nicht vergessen, eine Aufstockung müßte bei gleichem Typ mehr Sirenen beinhalten als 239, da sich ja in 15 Jahren die Bebauung vieler Orts drastisch verändern hat.
239 abgebaute sind recht viel, aber verglichen mit dem Gesamtbestand doch noch zu ertragen, allerdings darf man eins nicht vergessen, eine Aufstockung müßte bei gleichem Typ mehr Sirenen beinhalten als 239, da sich ja in 15 Jahren die Bebauung vieler Orts drastisch verändern hat.
Re: Vom Lärm, der Leben retten kann (Saarbrücker Zeitung)
Ich werd das Gefühl nicht los, dass die hauptsächlich in Saarbrücken abgebaut wurden... Das Saarland is dann doch recht dörflich und jedes Dorf behält "seine" Sirene. Dafür höre ich den monatlichen Probealarm in meiner Innenstadtwohnung überhaupt nicht. Also noch weniger, als früher, als ich die Aufnahme im Downloadbereich von luftschutzsirene.de gemacht hab (andere Wohnung, anderer Stadteil). Man müsste das ganze Netz überarbeiten. Denn warum gibts in SB-Brebach z.B. 5 in unmittelbarer Nähe (die Konzentration ist echt krass, halberger Hütte hin oder her) und in der Innenstadt hört man gar nichts...?
..und im Notfall werden wir über die Medien informiert... Klar, hab auch immer ein Radio eingeschaltet dabei...
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Re: Vom Lärm, der Leben retten kann (Saarbrücker Zeitung)
Bei uns in Völklingen gibt es keine einzige Sirene mehr. Sehr erschreckend, da die Chemieplattform Carling direkt neben Völklingen liegt.