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Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Freitag 3. März 2006, 22:05
von Marco
In der Uni-Bibliothek ist mir heute beim Durchblättern von alten Ausgaben der Zeitschrift "Spiegel" folgendes Heft ausgefallen:

(Heft Nr. 21 vom 23. Mai 1962)
Rund 90% des Artikels passen besser zu lostplaces.de, aber das Thema 'Sirenen' ist auch darin angesprochen. Habe deshalb auch nur die entsprechenden Textstellen eingescannt. Wer Lust hat, kann ja mal lesen.
„Das Ergebnis des zehnjährigen Feuerpatschens fand der Bayer Hermann Höcherl vor, als er im Herbst 1961 das Bundesinnenministerium von Gerhard Schröder übernahm. Es gab
- Ein Luft-Warnsystem mit 6000 Sirenen, wo 70000 nötig wären
- […]
Diesen aparten Luftschutz-Murks aus der Ära Schröder gedenkt Höcherl schon in seinem ersten Amtsjahr zu ordnen.
[…]
Der Warnmechanismus läuft, was die Planungen anlangt, in Sekunden ab: Der militärische Flugmeldedienst des Nato-Radarsystems informiert, sobald er anfliegende Bomber oder Raketengeschosse ausmacht, die insgesamt zehn zivilen Luftschutzwarnämter des Bundesgebiets.
Genau anderthalb Sekunden benötigt man in diesen Warnämtern, um per Druck auf den Alarmknopf über 5400 „Warnstellen“ der Bundespost – die noch fehlenden 250 werden jetzt erst montiert – zweierlei Empfänger zu bedienen: Warnstellen und Alarmstellen.
Die Warnstelle, ein kastenförmiges Zusatzgerät zum Fernsprecher, das die Meldungen des Warnamtes über Luftlage und radioaktiven Befund aufnimmt und durch Lautsprecher verbreitet, ist in Luftschutz-Kommandostuben, Versorgungsunternehmen und Krankenhäusern angeschlossen – so daß diese Teilnehmer schon vor dem öffentlichem Luftalarm oder vor der Entwarnung disponieren können.
Die Alarmstelle, heute meistens noch eine Sirene herkömmlicher Art, unterrichtet die Bevölkerung bei
- Luftalarm durch einen aus- und abschwellenden Heulton von einer Minute Dauer
- ABC-Alarm durch den gleichen, aber zweimal unterbrochenen Heulton
- Entwarnung durch einen langgezogenen Dauerton von einer Minute.
Soweit der Plan. Sein gepriesener dürfte für weite Gebiete der Bundesrepublik schon deshalb wenig Effekt haben, weil aus der Sowjetzone abgefeuerte Raketen nur Sekunden brauchen, um westlich der Zonengrenze niederzugehen.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Freitag 3. März 2006, 22:06
von Marco
Teil II:
Abgesehen davon aber bot sich das Warnsystem am 10. Januar 1962 beim Probealarm in Niedersachsen nicht ganz so perfekt dar.
Die 94 Luftschutzsirenen in Lüneburg, die aus dem - im Atomkrieg gewiß teilweise zerstörten - Stromnetz mit Energie gespeist werden, gaben keinen Laut von sich. Als Grund führte man im städtischen Elektrizitätswerk an: „Uns fehlt (seit zwei Jahren) ein Zusatzgerät, mit dem wir die Heultöne steuern können.“
In der bestimmt sehr gefährdeten Großstadt Hannover fiel der Alarm aus, weil die Sirenen fehlen. Jahrelang hatten sich die hannoverschen Luftschützer mit den Hauseigentümern gezankt, die auf ihren Grundstücken keine Sirenen dulden wollten.
Das „Erste Gesetz über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung“ vom 9. Oktober 1957 bot gegen die Widerspenstigen keine Handhabe. Erst die Novelle zum Bundesleistungsgesetz vorn 27. September 1961 bestimmte schließlich, daß die Hausbesitzer Luftschutzsirenen hinnehmen müssen.
Die Luftschützer von Hannover aber waren mittlerweile dahintergekommen, daß die Industrie eine neue Sirene entwickelte, die unabhängig vom – gefährdeten – Stromnetz, durch Preßluft angetrieben wird. Dieses neue Muster kostet 4100 Mark, das alte 3850 Mark.
Dafür übertrifft die Heulleistung der Preßluftsirene, die der Elektrosirene die nicht mehr gegen den Verkehrslärm ankommt, um ein Vielfaches. In der Stadt Hannover- würden statt 230 alter 20 neue Sirenen hinreichen, weshalb die hannoverschen Stadtväter ihren Alarmdienst suspendiert haben, bis die Industrie Preßluftsirenen liefert und der Land sie bezahlt.
Mit den Warnstellen der Luftschutz-, Bundeswehr-- und Rundfunkinstanzen sind die zehn Luftschutz-Warnämter sowohl durch Draht als auch durch Funk verbunden, mit den Alarmstellen (Sirenen) hingegen nur durch Draht, und zwar mittels Leitungen, die bei der Bundespost gemietet und wie alle Postkabel 80 bis 100 Zentimeter tief verlegt sind. Diese Leitungen würden schon infolge der ersten nuklearen Feuerschläge platzen.
Mit der Einrichtung eines Drahtfunks zur Information des Volkes ist es ähnlich kläglich bestellt. Wegen des zu erwartenden Stromausfalls sind Batterie-Empfänger erforderlich, die zugleich mit einem Sender – Mehrkosten pro Gerät: ungefähr 50 Mark – ausgerüstet sein müssen, damit der unter Trümmerhalden verschüttete Luftschutz-Hauswart den Luftschutzkameraden draußen per Drahtfunk seine Lage schildern kann,
Mit diesem Befund ist die Kardinalfrage gestellt, die ein Bremer Bürger in der Gartenstadt „Neue Vahr“ gelegentlich des niedersächsischen Probealarms am 10. Januar auf ein Schild vor seinem Häuschen pinselte: „Wozu die Sirenen? Wohin, wenn sie heulen?“
[…]“
Ferner waren im Artikel u.a. noch diese beiden Fotos abgedruckt:

(Luftschutzsirene über dem Bonner Bundeshaus: Zur Vernichtung Westdeutschlands...) <- ?

(Pressluftsirene in München. Heult wie keine andere.)
Quelle: [Unbekannter Verfasser]: Luftschutz. Bundesplanung. Jeder hat eine Chance. In: Der Spiegel, Heft 21 vom 23. Mai 1962, S. 22-33.
[Sorry, ich musste den Beitrag teilen, weil das Forum keine langen Texte akzeptiert.]
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Freitag 3. März 2006, 22:19
von ReinhardG
Die Luftschützer von Hannover aber waren mittlerweile dahintergekommen, daß die Industrie eine neue Sirene entwickelte, die unabhängig vom – gefährdeten – Stromnetz, durch Preßluft angetrieben wird. Dieses neue Muster kostet 4100 Mark, das alte 3850 Mark.
An diesen Zahlen sind aber doch auch für 1961 leise Zweifel angebracht. Für die 4100 Mark wird man allenfalls den Sirenenkopf einer HLS bekommen haben. Vielleicht kam es hin, wenn man es herunterrechnete auf die Anzahl Motorsirenen, die man mit einer HLS ersetzen konnte.
Gruß - Reinhard.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Freitag 3. März 2006, 23:07
von sirenboy
Hallo,
schöne Anlage 1 in München, wo stand die denn? habt ihr sie in Euren Daten verzeichnet?
Gruß Sirenboy
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Samstag 4. März 2006, 11:24
von HP.D
Wohin rennen, wenn sie heulen...
Dieser kurze Satz zeigt eigentlich die Sinnlosigkeit des Zivilschutzes angesichts eines atomaren Weltkrieges... Allerdings läßt er außer Acht, dass es vorher mit Sicherheit erst zu einem konventionellen Kreig gekommen wäre...
Trotzdem ein gutes Statement, über dessen Konsequenzen man am Besten gar nich groß nachdenkt...
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Samstag 4. März 2006, 14:23
von Abi2612
Schöne Anlage 1 in München, wo stand die denn? habt ihr sie in Euren Daten verzeichnet?
Könnte die im Stadtteil Denning an der Ostpreußenstraße gewesen sein, bin aber nicht sicher.
Das Foto in diesem Artikel beweist aber etwas viel Interessanteres: Laut den Hörmann-Unterlagen wurden nämlich erst in 1968 HLS in München aufgestellt! Diese Angabe dürfte durch den "Spiegel"-Artikel eindeutig widerlegt sein.
Übrigens scheint diese Pintsch Bamag ja auch silbrig anstatt altweiß gestrichen gewesen zu sein! Diese Farbe gab's u.a. auch in Hannover bei diversen Pintsch Bamag-Mastaufstellungen.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Samstag 4. März 2006, 16:43
von ReinhardG
Das Foto in diesem Artikel beweist aber etwas viel Interessanteres: Laut den Hörmann-Unterlagen wurden nämlich erst in 1968 HLS in München aufgestellt! Diese Angabe dürfte durch den "Spiegel"-Artikel eindeutig widerlegt sein.
Du sprichst von Hörmann - kann es sein, dass PB einfach eher am Markt war mit der Anlage 1? Wann wurden denn überhaupt die ersten Hörmann-Anlagen gebaut?
Gruß - Reinhard.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 12:33
von Abi2612
Du sprichst von Hörmann - kann es sein, dass PB einfach eher am Markt war mit der Anlage 1? Wann wurden denn überhaupt die ersten Hörmann-Anlagen gebaut?
*stöhn* Reinhard, das geht doch alles aus unserer Website
www.hochleistungssirene.de hervor!
Selbstverständlich kamen die ersten HLS von Pintsch Bamag. Die Prototypen entstanden 1959 und 1960, die ersten Serienmodelle (Anlage 1) wurden 1962 produziert. 1964 kam die verbesserte Anlage 2 auf den Markt, und scheinbar wurden alle HLS in einem Durchgang "auf Halde" produziert. Die Pintsch Bamag AG bekam Ende der 60er Jahre große finanzielle Probleme und ging 1970 Konkurs.
Hörmann stellte 1967 die erste eigene HLS her, das Modell F71. Hörmann übernahm dann vom Bund die Aufgabe, das Warnnetz weiter aufzubauen, Pintsch Bamag hatte scheinbar nicht die nötige Infrastruktur, sondern hatte eben nur die Hochleistungssirenen selbst produziert. Hörmann übernahm den Service für die meisten Sirenen in der Bundesrepublik und für etwa 95% aller HLS. Nach unserem Kenntnisstand wurden lediglich die HLS im Regierungsbezirk Arnsberg durch die Hagener Firma Helin gewartet, wodurch die drei HLS (alle Pintsch Bamag) in Arnsberg, Ense und Meschede allesamt nicht in den Hörmann-Unterlagen aufgeführt sind. Das nur als kleiner Exkurs.
Jedenfalls liegen uns umfangreiche Hörmann-Unterlagen zu den Standorten vor, die im Laufe des Jahres endlich auf unsere Website eingepflegt werden sollen. Und eben aus diesen Unterlagen geht hervor, daß Hörmann offensichtlich nach dem Konkurs von Pintsch Bamag auch die dort auf Halde liegenden HLS übernahm und nach und nach aufstellte, teilweise parallel zu den jüngeren aus eigener Produktion! Die genauen Hintergründe und Abläufe beim Übergang des Auftrag des Bundes von Pintsch Bamag auf Hörmann sind uns noch nicht bekannt.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 13:03
von sirenboy
Lieber ,
wir sind jetzt alle schon soooo lange auf das Update von
www.hochleitungssirene.de gespannt, wann ist es denn jetzt soweit???
Euer erwartungfreudiger Sirenboy
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 13:27
von ReinhardG
Nein, leider geht es jedenfalls bisher daraus nicht hervor, sonst hätte ich nicht gefragt. Aber für die interessanten Infos.
Die Pintsch Bamag AG bekam Ende der 60er Jahre große finanzielle Probleme und ging 1970 Konkurs.
Beim googeln habe ich das hier gefunden, vielleicht ist das ja was für Sammler:
http://www.hwph.de/historische-wertpapi ... -1203.html
Eine Firma dieses Namens existiert aber noch mit Hauptsitz in Dinslaken, sie sind gut im Geschäft bei der Eisenbahn (Signale, Bahnübergänge), der Schiffahrt (Seezeichen) und haben auch noch einen Bereich Warntechnik, der u.a. ELS anbietet.
Gruß - Reinhard.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 13:44
von Laatze
Kann ja sein, dass die Firma einfach wieder mit dem gleichen namen neu gegründet wurde, wie z.B. (Feuerwehrleute werden es kennen) die Fa. Bachert. Hat damals Feuerwehrfahrzeug-aufbauten gemacht, Tragkraftspritzen hergestellt, etc. Letztes jahr haben sich zwei Personen zusammengeschlossen, die die Fa. wieder aufgemacht haben(ja, plumpe Beschreibung) und nun alte Bachert-Gerätschaften reparieren.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 13:50
von Abi2612
Kann ja sein, dass die Firma einfach wieder mit dem gleichen Namen neu gegründet wurde.
So ist es im Grunde genommen auch. Die Aktien der Pintsch Bamag AG, welche die HLS hergestellt hatte, findet man z.B. regelmäßig für 1,-€ auf eBay.
Am Standort Butzbach, wo seinerzeit die HLS produziert wurden, befindet sich heute immernoch das Bürohaus einer Firma BAMAG. War zwischendurch aber auch schon LURGI.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 13:56
von Abi2612
Nein, leider geht es jedenfalls bisher daraus nicht hervor, sonst hätte ich nicht gefragt. Aber für die interessanten Infos.
Wenn man sich die Baujahre in der Standortliste anschaut, wird klar, daß Pintsch Bamag zuerst mit HLS am Markt war, und die Historie ist hier - soweit bekannt - auch im Forum schon in ziemlich ausführlicher Form ausgebreitet worden; einfach 'mal die Threads unter "Hochleistungssirenen" durchsuchen. Dort wurde auch schon der aktuelle Ableger von Pintsch Bamag (Sicherungstechnik) in Dinslaken erwähnt, die kurioserweise auch die Eistüten quasi als Vertragshändler anbieten. In dem Zusammenhang hatten und ich auch schon einmal erwähnt, daß die Presseabteilung dieser Firma offenbar unfähig ist, auf Anfrage bezüglich der alten HLS überhaupt zu antworten - und das, obwohl die heutige Pintsch Bamag eben
auch Sirenen anbietet, wenngleich auch nicht aus eigener Herstellung.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Sonntag 5. März 2006, 16:01
von ReinhardG
Wenn man sich die Baujahre in der Standortliste anschaut, wird klar, daß Pintsch Bamag zuerst mit HLS am Markt war
Da die bekanntlich nur einen Ausschnitt enthält, kann man das allenfalls vermuten, wenn man nicht über weitere Hintergrundinformationen verfügt - meine Frage war deshalb entsprechend formuliert. Aber Du hast das ja nun aufgeklärt. - Ich warte jedenfalls gespannt auf das nächste Update der Seite.
Gruß - Reinhard.
Re: Spiegel-Artikel "Luftschutz in Deutschland" von 1962
Verfasst: Donnerstag 11. Januar 2007, 06:53
von Luftschutzsirene
Super Beitrag
und nun hab ich es schwarz auf auf was ich Rechaiert hatte vor längere zeit
Die Luftschützer von Hannover aber waren mittlerweile dahintergekommen, daß die Industrie eine neue Sirene entwickelte, die unabhängig vom – gefährdeten – Stromnetz, durch Preßluft angetrieben wird. Dieses neue Muster kostet 4100 Mark, das alte 3850 Mark
Genau so wie ich es vermutet hatte